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Über Morton Feldman Sprechen:

Vier Artikel von Eberhard Blum

Inhalt:

. . . über Morton Feldman sprechen!

Bericht über "For Philip Guston"

Vom Leben der Klänge

Bericht



. . . über Morton Feldman sprechen!

Der vorliegende Text ist das Ergebnis eines Gespräches zwischen Aurel Schmidt von der "Basler Zeitung" und dem Flötisten Eberhard Blum. Das Gespräch fand am 10. Januar 1992 in Berlin statt. Der Text wurde zuerst in der "Basler Zeitung" veröffentlicht und später in der Zeitschrift "Positionen" (Heft 11, November 1992).

Das Künstlerprogramm des DAAD lädt regelmäßig Komponisten, bildende Künstler, Schriftsteller, Filmemacher und Architekten ein, um einige Zeit in Berlin zu leben und zu arbeiten. Der amerikanische Komponist Morton Feldman wurde ebenfalls eingeladen und lebte ein Jahr lang, von Mitte 1971 bis Mitte 1972, in Berlin. Er hat während dieser Zeit mehrere große Werke komponiert. Es war für Feldman eine wichtige Zeit, zumal er zum ersten Mal in seinem Leben außerhalb von New York und damit auch außerhalb von Amerika lebte.

Ich kannte Feldman damals vom Namen her, vor allem durch meine Arbeit als Interpret der Werke von John Cage. Wenn man mit Cage zu tun hat, kommt man sehr schnell auch zu Feldman. In einem Konzert, mit dem sich Feldman in Berlin vorstellte, wurden Klavierwerke von ihm gespielt. Dieses Konzert hat mich stark beeindruckt. Damals habe ich Musik von Feldman zum ersten Mal richtig gehört. Plattenaufnahmen gab es noch sehr wenig. Feldman wurde nur hin und wieder aufgeführt, meistens wurde er als einer dieser halbverrückten Amerikaner angesehen. Das war 1971, ist also lange her. Cage war in Europa schon bekannt durch seine Zusammenarbeit mit der Merce Cunningham Dance Company und durch siene Auftritte in Köln, aber Feldman, dessen Musik äußerlich nicht so spektakulär ist, war weit weniger bekannt.

Ich gab damals viele Konzerte in Berlin. In einem von ihnen führte ich ein großes Werk für Baßflöte mit dem Titel Saih des indonesischen Komponisten Gutama Soegijo auf. Es war ein sehr aufwendiges, sehr virtuoses Stück, eine Art Ritual, das versuchte, bestimmte Techniken der indonesischen Musik mit europäischer Musik zu verbinden. Nach dem Konzert kam Feldman zu mir und fragte mich, ob ich Interesse hätte, nach Amerika zu gehen.

Feldman hatte mich schon öfters gehört. Er ging viel in Konzerte, um sich zu informieren, was hier passiert. Als er Mitte 1972 nach Amerika zurückkehrte, trat er eine Professur für Komposition am Music Departement der Universität Buffalo an. Es gab in Buffalo außerdem das von Lukas Foss gegründete Center of the Creative and Performing Arts. Von diesem Center wurden Komponisten und Interpreten aus Amerika und Europa eingeladen, um eine gewisse Zeit an der Universität zu arbeiten, Konzerte zu veranstalten, Workshops abzuhalten und so weiter. Das Center sollte vorbildliche Aufführungen neuer Musik möglich machen. Es war damals das Zentrum für neue Musik im östlichen Teil von Amerika. Es kamen viele europäische Musiker, und es gab interessante Studenten an der Universität. Feldman war gefragt worden, ob er einen Flötisten kenne, und so kam ich nach Buffalo.

Das war 1973 und zunächst für ein Jahr, aber es wurden schließlich dreieinhalb Jahre daraus. Ich war creative associate an dem Center. Der Pianist Nils Vigeland, der Schlagzeuger Jan Williams und ich bildeten zu jener Zeit Feldmans Focus-Gruppe. Jan Williams war Professor für Schlagzeug in Buffalo, er ist es heute noch. Nils Vigeland hat bei Feldman Komposition studiert. Er ist Komponist und ein hervorragender Pianist. Wir machten regelmäßig in Buffalo Konzerte und reisten in Amerika umher, auch mit Feldman als Pianist. Feldman war ein hervorragender Interpret seiner eigenen Werke. Er war extrem kurzsichtig, was in den Konzerten jedesmal zu einem Drama wurde. Wir haben also irgendwann einmal eingesehen, daß wir einen anderen Pianisten brauchten, und es war Nils Vigeland, der den Part übernahm.

Es gab dieses Trio und wir reisten, auch zusammen mit anderen Musikern, und dem Namen 'Morton Feldman and Soloists'. Wir haben natürlich nicht nur Werke von Feldman gespielt. Das erste große Stück, in dem ich 1973 mitspielte, hieß For Frank O'Hara. Das nächste Stück, das Feldman schrieb, hieß Instruments 3 für Flöte, Oboe und Schlagzeug; das haben wir überall gespielt.

Das Ensemble mit Williams, Vigeland und mir besteht bis heute, bis zu den CD-Aufnahmen für Werner Uehlingers Label Hat Hut. Feldman hat für uns Why Patterns? komponiert, danach Crippled Symmetry und For Philip Guston. Das sind sechseinhalb Stunden Musik. Damit ist der Zyklus mit späten Trios von Feldman abgeschlossen. Im Juni 1992 nehme ich ein weiteres Stück für Hat Hut auf, ein Duo für Flöte und Klavier, das Feldman 1986 komponiert hat und das ich zusammen mit Nils Vigeland im selben Jahr in Darmstadt uraufgeführt habe. Es heißt For Christian Wolff, also für den Komponisten und Sohn des bekannten Leipziger Verlegers Kurt Wolff. Es ist musikalisch verwandt mit den späten Trios, ein Trio ohne Schlagzeug. Man könnte das Schlagzeug dazustellen, schweigend. Das Stück dauert drei Stunden und fünfzehn Minuten.

Alle diese Werke sind für uns geschrieben worden, und es ist wichtig, daß sie aufgenommen werden, um authentische Wiedergaben und Produktionen zu haben. Viele Interpreten wissen nicht, wie diese Dinge zu spielen sind. Wir waren Feldmans 'Streichquartett'. Joseph Haydn hat bekanntlich viele Streichquartette geschrieben und alle seine kompositorischen 'Experimente' sind zunächst in seinem Streichquartett ausprobiert worden. Es war sein Experimentallabor, wo er bestimmte kompositorische Schritte und Überlegungen anstellen konnte. Danach erst übertrug er seine Erkenntnisse auf die Orchesterwerke.

Man kann sagen, daß Feldmans Spätwerk mit Why Patterns? beginnt. Er hat die Stücke geschrieben, wir haben sie aufgeführt, sozusagen für ihn, das heißt, er konnte sofort hören, was bei seinen Kompositionen herauskam. Manchmal haben wir gar nicht geahnt, daß er mit uns etwas ausprobierte.

Es ging Feldman darum, eine Balance zu finden zwischen dem, was aufgeschrieben ist und dem, was klingt. Die Werke sind auf eine Weise notiert, daß das klangliche Ergebnis in jeder Aufführung etwas anders ausfällt. Damit ist die Vertikale der Musik gemeint, der zeitliche Aspekt. Daneben gibt es drei Horizontalen, nämlich die drei Instrumente, die sich im Verlauf der Ausführung immer wieder verschieben. Das ist ganz wichtig in Why Patterns? und Crippled Symmetry. Es gibt keine Partitur, es gibt drei Stimmen, die in einer vom Komponisten beschlossenen Form aufeinander bezogen sind. Wir sind keine Interpreten, wir führen aus. Interpretation ist meistens eine Verfälschung. Ich sehe mich nicht als Interpret, ich lege großen Wert darauf auszuführen, was aufgeschrieben ist, so genau wie möglich. Da ist dann schon genug Interpretation dabei. Sie ergibt sich aus dem physischen Akt, Klänge zu erzeugen.

Was wir in den Aufnahmen von Why Patterns? und Crippled Symmetry hören, ist sozusagen eine Möglichkeit der Stücke. Die Stimmen sind genau aufgeschrieben. Aber da wir keine Maschinen sind, gibt es zeitliche Ungenauigkeiten. Mit diesen kleinen Verschiebungen hat Feldman gerechnet. Das Spezifische an seiner Musik ist seine Art, mit Klängen umzugehen. Die Klänge werden nicht als Träger eines nicht-musikalischen Ausdrucks eingesetzt. Es geht um die Frage: Will der Musiker mit den Klängen etwas sagen? Cage schreibt: 'Wenn ein Komponist etwas zu sagen hat, soll er es mit Wörtern sagen. Klänge sind Klänge.' Sie sprechen für sich selber, sie sind nicht Träger einer außermusikalischen, etwa literarischen Botschaft. Was man hört, ist das, was da ist. Es gibt nichts dahinter. Die Verwandtschaft von Feldman und Cage zur Klassik, zum Beispiel zu Haydn, ist viel größer als zur Musik, wie sie etwa Wagner und Brahms komponiert haben. Feldman vermittelt Informationen über Klänge, über Aspekte von Bewegung und Statik, stellt Fragen zur Klangfarbe, lnstrumentation, zum Register (hoch, mittel tief und alles, was dazwischen ist) und zur Proportion. Diese Musik stellt Fragen! Besonders die Werke, die Feldnian in den frühen fünfziger Jahren geschrieben hat, sind klassische experimentelle Musik. Die Definition dessen, was experimentelle Musik ist, hat Cage gegeben als er sagte, experimentelle Musik sei die, bei der man vor der Aufführung nicht wisse, was dabei herauskomme. Das ist bei Experimenten in der Naturwissenschaft und Kunst so, nur kann es in der Naturwissenschaft zu katastrophalen Ergebnissen führen, aber auch in der Musik. Man unterschätzt die Wirkung der Musik.

Viele Instrumentalisten fürchten die Fragen, die Feldman in seinen Stücken stellt, da sie den Anforderungen meistens nicht gewachsen sind. Feldman wollte gewisse Denkvorgänge anstoßen, fand bei den Ausführenden aber meistens kein Verständnis, weil sie in anderen Kategorien, falschen Kategorien oder gar nicht dachten. Feldman und Cage hatten große Mühe, ihre Musik richtig gespielt zu haben. Für Cage hatte das fatale Folgen. Seine Musik wurde entstellt und er als Clown dargestellt. Bei Feldman hieß es, ach ja, der Dilettant. Das hat sich inzwischen geändert. Eine neue Generation von Instrumentalisten hat sich mit den notwendigen Fragen sehr viel eingehender beschäftigt. Es ist immer so, daß Komponisten erst einmal eine ihnen wohlgesonnene Schar von Aufführenden um sich versammeln. Haydn hatte sein Streichquartett. In Amerika würde man das als quartet in residence bezeichnen. Feldman hatte seine soloists, Cage hatte David Tudor und Merce Cunningham, Boulez in den fünfziger Jahren in Paris seine Domaine musicale.

Das waren entscheidende Schritte. Für die Instrumentalisten wurde es zu einer prinzipiellen Entscheidung, will man sich darauf einlassen oder den traditionellen Weg gehen und in einem Sinfonieorchester spielen. Ich sehe mich kaum noch als Musiker im traditionellen Sinn. Ich habe bei Aurèle Nicolet studiert, dem Schweizer Flötisten, der früher an der Berliner Musikhochschule unterrichtet hat. Ihm verdanke ich entscheidende Impulse. Ebenso war die persönliche Bekanntschaft mit Feldman für mich prägend. Feldman war auf der Suche nach einer bestimmten Art Flötenton, der mir zunächst noch unklar war, den ich dann aber im Zusammenhang mit seiner Musik entwickelt habe. Auf diese Weise fand eine gegenseitige Beeinflussung statt, die nicht immer ausgesprochen werden mußte. Es sind Dinge, die atmosphärisch passieren, und es sind Dinge, die nicht intellektuell am Schreibtisch passieren, sondern durch die Praxis, das Experiment.

Bei Feldman findet eine Reduktion auf das Wesentliche statt. Anstelle eines ganzen Orchesters kann ein einzelnes Instrument Fragen stellen. Feldman hat eine Reihe von Orchesterwerken geschrieben, aber es ist, ähnlich wie bei Cage, sehr schwierig, diese Werke aufzuführen, weil das soziale Bewußtsein der Orchestermusiker nicht dafür geeignet ist. Man darf nicht vergessen, daß die Orchester nicht gegründet worden sind, uni experimentelle Musik des 20. Jahrhunderts zu spielen. Das Orchester ist, genau wie die meisten Museen, eine Einrichtung des 19. Jahrhunderts.

Die Zeit ist das, was die Musik von allen Künsten unterscheidet. Wenn man definieren sollte, was Musik ist, meine ich: Die Zeit ist das Entscheidende. Die Zeit: jetzt, nachher, vorher, gleichzeitig, oft, selten, nie, immer. Hier haben wir schon ein ganzes Werk. An diesen Fragen arbeitete natürlich nicht nur Feldman. Es ist eine prinzipielle Frage, schon in der klassischen Musik. Feldmans späte Werke haben viel mit Proportion und Maßstab zu tun. Feldman sagte einmal, daß er in langen Werken ganz andere Möglichkeiten habe als in kurzen. Die Fragen, die er sich stellte, konnte er in langen Stücken viel besser anpacken. Ob sie auch beantwortet sind, kann ich nicht in jedem Fall sagen, denn ich kenne nicht alle Fragen, aber ich weiß, daß es Fragen sind, die in einem Werk von zwanzig Minuten nicht zu stellen, geschweige denn zu beantworten sind.

Über das Philip-Guston-Stück gibt es die Bemerkung von Feldman, was denn vier Stunden schon seien. Es ist doch gar nicht viel. Bei vier Stunden beginnt man zu merken, daß Musik ein Teil des Lebens ist. Man bekommt für die Zeit ein anderes Bewußtsein als bei zwanzig Minuten.

Mitte der siebziger Jahre fing Feldman an, sich für Teppiche zu interessieren, für handgewebte Teppiche mit Mustern. Nun ist es so, daß die Muster aufgrund der Tatsache, daß sie eben nicht maschinell gewoben sind, kleine Ungenauigkeiten aufweisen. Das bringt uns wieder auf die Vertikale. Feldman hat ganz bestimmte Ungenauigkeiten der Muster übertragen. Er meinte auch, daß zwischen Bildern von Jasper Johns und den Teppichen eine Ähnlichkeit besteht, beispielsweise in den Bildern mit Zahlen. Die Teppiche hat Feldman wie Bilder gesehen, wie Kunstwerke, nicht wie Teppiche. Sie haben ihm Anregungen für bestimmte Strukturen bei musikalischen Vorgängen gegeben. Crippled Symmetry besteht aus Wiederholungen bestimmter akustischer Muster. Sie bilden Ordnungen und Strukturen. Musik hat immer mit Ordnung zu tun. Feldman schreibt vor, wann die Töne kommen und welche Töne kommen. Feldman legt die Vorgänge auf eine Weise fest, daß bestimmte Dinge passieren können und auch tatsächlich passieren. Durch seine Malerfreunde hat Feldman gelernt, daß die Position des Betrachters eines Bildes wichtig ist. Das Bild sieht einfach anders aus, ob man mit der Nase darauf stößt oder nicht. Es sind Aspekte des Sehens. Das ist bei Musik auch so. Wenn man zum Beispiel beim Hören einer Aufnahme das Ohr an den Lautsprecher hält, klingt es anders, als wenn man drei oder fünf Meter entfernt sitzt. Der Klang fängt plötzlich an, sich zu verändern.

Der Raum spielt also eine große Rolle. Eine wesentliche Sache, die Feldman mit uns vor jedem Konzert ausprobierte, war die Festlegung der einzelnen Spielerpositionen im Raum. Das mußte jedesmal neu entschieden werden. Wir haben wunderbare Konzerte im Museum für Gegenwartskunst in Basel gegeben. Feldman bezog die Umgebung mit ein, etwa das große Bild von Frank SteIla. Es wurde zum Bühnenbild. Und die Leute stellten fest, daß der Stella anders aussah, während die Musik von Feldman gespielt wurde.

Ich war auch mit Nils Vigeland in Basel und wir haben ein Konzert gegeben in Verbindung mit einer Ausstellung von Francesco Clemente. Clemente war ein guter Freund von Feldman. Er hat eine Tuschzeichnung von Feldman gemacht, ein Porträt, und wünschte sich, daß während einer Ausstellung ein Konzert mit Werken von Feldman stattfinde.

Feldman stellte sich bestimmte Fragen. Aber das ist nicht, was ihn von anderen Komponisten unterscheidet. Welche Fragen er stellte, unterscheidet ihn von anderen. Musikalische Fragen betreffen das Leben. Man kann die Dinge nicht trennen. Es geht nicht darum, die Fragen entsprechend der Botschaft zu formulieren, wie es zum Beispiele Hanns Eisler gemacht hat, auf sehr brillante Weise übrigens. Bei Eisler diente die Musik dazu, eine politische message zu vermitteln. Das heißt nicht, daß Feldman an gesellschaftlichen Fragen nicht interessiert war. Die Ausübung von Musik ist eine gesellschaftliche Frage. Kunst hat Öffentlichkeit oder bekommt sie. Agitationsmusik genauso wie Werke von Feldman oder Cage. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen ist bei Cage ganz deutlich, auch bei Feldman, aber auf unterschiedliche Weise. Man kann sagen, Cage agitiere durch seine Texte. Er fragt direkt: Was halten Sie von Mao? Feldman fragt indirekt.

Feldman hat immer am Klavier komponiert. Ich habe am Anfang in Buffalo eine zeitlang in seiner Wohnung gewohnt. Er komponierte früh morgens. Er schlug irgendwelche mir undurchsichtigen Zusammenklänge an, ging dann an den Schreibtisch und schrieb ins Reine. Ich habe niemals bei den Werken, die dabei herauskamen, irgendeine auch nur annähernde Ähnlichkeit zu dem bemerkt, was er am Klavier gespielt hat. Er sagte, er brauche dieses Gefühl, 'am Klang zu sein'. Er sprach von touch, von der Berührung der Finger mit dem Klavier Es gibt Pianisten, die könne Feldman spielen und andere, die es nicht können. Die, die es nicht können, haben nicht den touch. Es ist eine bestimmte Art von Anschlagstechnik, die die Akkorde in einer bestimmten Weise färbt. Feldman dachte, wenn er komponierte, immer an bestimmte Spieler, auch wenn er es nicht zugab.

Der Einfluß der bildenden Kunst auf Feldmans Werk war bedeutend. Es gab in den fünfziger Jahren in New York eine starke Verbindung zwischen den Künsten. Die Überlegungen, die man machte, bevor man ein Bild malte, ein Musikstück schrieb oder einen Tanz choreographierte, waren bei den verschiedenen Künstlern ähnlich. Feldmans Überlegungen, bevor er ein Musikstück schrieb, waren vergleichbar mit denen der Maler Mark Rothko und Philip Guston. Es gab ganz natürliche Verbindungen, auch persönlicher Art. Die Dinge, die Feldman beschäftigten, beschäftigten vorwiegend bildende Künstler, Musiker kaum.

Feldman hat viel von der Oberfläche seiner Musik gesprochen, und die Oberfläche ist natürlich auch in den Bildern etwas Entscheidendes, zum Beispiel bei Philip Guston, auch bei Mark Rothko, der diese schwebenden Farbflächen malte. Oberfläche in der Musik heißt, wie hört sich die Musik an? Was hört man? Es gibt sehr bewegte Oberflächen mit großen, dynamischen Unterschieden und es gibt ruhige Oberflächen. Aber worauf bezieht man das? Ab wann ist etwas ruhig oder bewegt? Ist Ruhe etwas wie eine spiegelglatte Meeresfläche oder muß es doch einige Wellenbewegungen geben? Rauschenberg und Johns haben gesagt, daß sie ohne Cage nicht geworden wären, was sie heute sind. Eines der ersten Dinge, die Feldman in Buffalo für mich getan hat: Er zeigte mir diese Kunst.

Feldman kam aus einer jüdischen New Yorker Familie. Sein Vater war noch in Rußland geboren. Als Feldmans Großvater mit seiner großen Familie nach Amerika auswanderte, mußte Feldmans Vater in Europa bleiben und auf die Schiffspassage warten, weil das Geld fehlte. Die Familie Feldman lebte in der Bronx, die damals ein ganz anderer Stadtteil war als heute. Die jüdische Mittelklasse lebte dort. Feldmans Vater hatte eine Dampfpresse für Kleider. Feldman selber arbeitete bis ungefähr zu seinem 40. Lebensjahr in diesem Geschäft.

Als Kind hatte er Klavierunterricht genommen, übrigens bei einer Berliner Schülerin von Busoni, der Russin Madame Press. Daneben nahm er privaten Kompositionsunterricht zur Hauptsache bei Stefan Wolpe, der aus Berlin kam. Dann folgte der Aufenthalt in Berlin, und daran anschließend wurde er Professor in Buffalo.

Er war ein sarkastischer Mensch mit einem New Yorker Akzent. Er konnte noch ein wenig Jiddisch. Die Eltern waren gebildete Leute, Bücher waren selbstverständlich. Die Beziehung zu Wolpe, für ihn der Inbegriff des europäischen Künstlers, war sehr wichtig. Interessant ist, daß die Emigranten, die nach New York kamen und dort unterrichteten, bedeutende amerikanische Künstler ausgebildet haben. Josef Albers war der Lehrer von Rauschenberg, Cage hatte bei Schönberg studiert. Es ist wirklich bemerkenswert, daß die amerikanischen Künstler ihre Identität über ihre europäischen Lehrer gefünden haben.

Ich glaube, man darf die Person Feldman nicht von der jüdischen Tradition trennen, obwohl Feldman nie großen Wert darauf gelegt hat, als Jude betrachtet zu werden. Er ist sozusagen erst in Berlin zum Juden geworden. Er lebte in Berlin in der Nähe des Olympia-Stadions, das eine symbolische Bedeutung besitzt. Er erzählte mir, wie er als Kind in den amerikanischen Illustrierten über die Olympischen Spiele von 1936 las. In Interviews während seines Aufenthaltes in Berlin wurde er oft gefragt, was er als Jude über bestimmte Dinge denke. Er sagte dann immer: In New York würde niemand auf die Idee kommen, solch eine Frage zu stellen. Er bezeichnete sich als New Yorker.




Bericht über "For Philip Guston"

Dieser Bericht wurde zuerst in der Programm-Broschüre für eine Aufführung von Feldmans "For Philip Guston" veröffentlicht. Die Aufführung von Eberhard Blum (Flöte), Nils Vigeland (Klavier) und Jan Williams (Schlagzeug) fand am 21. Januar 1996 in der Berlinischen Galerie, Martin-Gropius-Bau statt.

Direkt nach der Uraufführung von "Crippled Symmetry", am 5. Februar 1984 in der Berliner Akademie der Künste, sagte Morton Feldman zu mir, daß er plane, ein neues Trio zu komponieren und daß es alles, was wir (Nils Vigeland, Jan Williams und ich) bisher aufgeführt hätten, in den Schatten stellen würde. Mitte November desselben Jahres kam ein dickes Paket mit der Post. Es enthielt die 102 Seiten der Partitur zu "For Philip Guston". Ich hielt Feldmans drittes Trio für Flöte, Klavier und Schlagzeug in den Händen. Nachdem ich das Werk eingehend studiert hatte, stellte ich fest, daß Feldman recht hatte. Es war tatsächlich ganz anders als alles, was wir bisher aufgeführt hatten. Zunächst einmal beeindruckte mich die schiere Länge des Werkes und ich fragte mich: "Wie schaffe ich es physisch überhaupt, eine Aufführung durchzuhalten?" Nach weiterem Studium wurde diese Frage jedoch schnell nebensächlich und ich widmete den Details der Partitur meine ganze Aufmerksamkeit. Die Uraufführung des Werkes war für den 21. April 1985 in der Albright Knox Art Gallery in Buffalo (USA) vorgesehen. Da Nils Vigeland nicht zur Verfügung stand, übernahm Ivar Mikashoff den Klavierpart. Ich reiste eine Woche vor der Aufführung nach Buffalo und wir arbeiteten jeden Tag an Teilen des Werkes. Was uns jedoch fehlte, war die Erfahrung der kompletten Aufführung eines solchen Werkes. Die Spannung vor dem Konzert war also dementsprechend groß. Die Aufführung dauerte ca. 4 1/2 Stunden (Feldman hatte 3 Stunden vorausgesagt) und ich hatte eine völlig neue Erfahrung im Umgang mit musikalischer Zeit und in ihr stattfindenden Ereignissen gemacht. Feldman selber war nach der Aufführung in "high spirits" und sprach, in ebenso ungewöhnlicher Art wie in seiner Musik, stundenlang von der Zeit, als er mit Philip Guston und den anderen Malern in New York fast täglich zusammen war. Wohl kein anderes Werk Feldmans trägt so eindeutig autobiographische Züge. Man könnte es zum Ausgangspunkt einer noch zu schreibenden Biographie Feldmans machen. Schon am 2. Juli 1985 fand die nächste Aufführung statt. Ad van't Veer hatte uns nach Middelburg in Holland eingeladen. Werke von Feldman standen im Mittelpunkt des dort jährlich stattfindenden Festivals für neue Musik. Nils Vigeland, Jan Williams und ich spielten mehrere Konzerte. Auch Werke von Bunita Marcus und Nils Vigeland, beide waren Schüler von Feldman, standen auf den Programmen. Zweifellos wurde die Aufführung von "For Philip Guston" der unumstrittene Höhepunkt des Festivals. Am Nachmittag des Konzerttages gab Feldman eine vierstündige Lecture vor etwa sechs interessierten Zuhörern. Die Transkription der Lecture ist in dem Feldman gewidmeten Band der "Musik Konzepte" abgedruckt und wurde zum Schlüssel des Verständnisses seiner späten Werke. Direkt vor Beginn des Konzertes sprach Feldman eine kurze Einführung, die den autobiographischen Charakter des Werkes betonte und die Aufmerksamkeit der Hörer auf diesen Aspekt des Werkes lenkte.

In der folgenden Zeit führten wir in Europa und den USA regelmäßig die Trios "Why Patterns?" und "Crippled Symmetry" auf. "For Philip Guston" stand nur einmal auf dem Programm. Unter schwierigsten äußerlichen Bedingungen fand am 24.11.85 eine Aufführung im Saal des lnstrumentenmuseums in Berlin statt. Nach der Aufführung verabredeten wir mit Feldman, unter solch unzureichenden Bedingungen das Werk nicht mehr aufzuführen. Die meisten Veranstalter verstanden diese neuartige Musik nicht und waren deshalb nicht in der Lage, geeignete Aufführungsbedingungen zu schaffen. In der Zwischenzeit hatte Feldman "For Christian Wolff" für Flöte und Klavier komponiert, dessen Uraufführung Nils Vigeland und ich im Sommer 1986 bei den "Internationalen Ferienkursen für Neue Musik" in Darmstadt spielten. Am 15. Januar 1987 spielten wir eine weitere Aufführung in der großen Ausstellungshalle der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Am späten Abend des 3. September 1987 rief mich Nils Vigeland aus New York an und sagte: "Morton Feldman ist tot." Natürlich kam die Nachricht nicht ganz überraschend, denn wir wußten von seiner schweren Krankheit.

Am 4. September morgens sprach ich mit Ernstalbrecht Stiebler in Frankfurt und wir verabredeten ein Gedächtniskonzert. "For Philip Guston" sollte auf dem Programm stehen. Dieses Konzert fand am 1. Dezember 1987 im Städel Museum in Frankfurt statt. John Cage sprach vor unserer Aufführung, berichtete von seinen letzten Telefongesprächen mit dem kranken Feldman und war, wie immer, optimistisch, denn schließlich gäbe es Feldmans Musik.

War mit dem Tode Feldmans eine Epoche zu Ende gegangen?

Würden die Veränderungen in der Musikwelt ähnlich stark sein, wie in der Kunstwelt nach dem Tode von Jackson Pollock? Welchen Einfluß wird Feldmans Musik ausüben? Ich führte, wo immer es ging, Feldmans Musik auf und beobachtete, wie das Interesse an ihr wuchs und wie junge Komponisten sie zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machten.

Durch die Vermittlung der Schweizer Pianistin Marianne Schröder begann 1990 eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Werner X. Uehlinger und seiner Plattenfirma HATHUT. In kurzen Abständen produzierten Nils Vigeland, Jan Williams und ich die drei Trios und das Duo. Diese CDs sind Dokumente unserer mehr als zehnjährigen engen Zusammenarbeit mit Morton Feldman. The circle has been completed!

Doch weitere Aufführungen sind schon geplant!




Vom Leben der Klänge

Dieser Artikel wurde für die Programm-Broschüre verfasst, die 1997 aus Anlass des Feldman-Festivals in Gütersloh erschien. Das Festival hatte den Titel: "Gütersloh '97: Für Morton Feldman".

Betrachten wir die zweite Hälfte unseres zu Ende gehenden Jahrhunderts und fragen uns, wer die großen Komponisten dieser Epoche waren, muß unweigerlich der Name des Amerikaners Morton Feldman genannt werden.

Wer ist dieser Morton Feldman, und worin besteht seine außerordentliche künstlerische Leistung, die uns Veranlassung gibt, ihm in diesem Jahr eine Serie von Veranstaltungen zu widmen?

Geboren wurde er am 12. Januar 1926 in New York. Seine Eltern waren Anfang dieses Jahrhunderts als Kinder aus Rußland nach Amerika gekommen. Sein Vater arbeitete zunächst in einer Kleiderfirma und machte sich später selbständig. Feldman wuchs in einer für die damalige Zeit typischen New Yorker jüdischen Familie auf.

Doch schon der Beginn seiner musikalischen Ausbildung ist bemerkenswert. Mit zwölf Jahren erhielt er Klavierunterricht bei Madame Vera Maurina Press, einer russischen Emigrantin, die unter anderem in Berlin bei Ferruccio Busoni studiert hatte. Diese Lehrerin führte den Jungen in die Geheimnisse des Klanges ein und lehrte ihn, die großen europäischen Traditionen des 19. Jahrhunderts zu verstehen.

Über diesen Unterricht sagte Feldman später: "Durch sie - und nur durch sie, glaube ich - geschah es, daß ich infolge ihrer mangelnden Strenge zwar mit bebender Musikalität erfüllt wurde, aber kein festes musikalisches Wissen erlangte." Als Feldman 1944 ein Studium beginnen sollte, sah er sich in New York eine Universität von innen an und stellte fest, daß das nichts für ihn sei. Er zog es vor, in der kleinen Firma seines Vaters zu arbeiten und so seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zu dieser Zeit lernte er den Berliner Emigranten Stefan Wolpe kennen, von dessen vitaler Persönlichkeit er beeindruckt war und bei dem er privaten Unterricht nahm.

Er nannte Wolpe seinen wichtigsten Lehrer, da er "seine Ideen nie in Frage stellte und nie ein bestimmtes System anpries". Durch Wolpe lernte er viele New Yorker Musiker und bildende Künstler kennen, zum Beispiel den Komponisten Edgard Varèse. Dieser zeigte ihm, "wie man in Amerika ein professioneller Komponist wird", ohne ein sogenanntes "professionelles Leben zu führen." Er riet ihm nachdrücklich, niemaIs an einer akademischen Institution zu studieren und seinen eigenen Weg zu gehen. Diesen Rat befolgte Feldman und entwickelte ganz unabhängig seine musikalischen Ideen.

Etwa um 1950 lernte Feldman den um vierzehn Jahre älteren Komponisten John Cage kennen, der zu seinem lebenslangen Freund wurde. Man spielte sich gegenseitig seine neuesten Kompositionen vor, organisierte gemeinsam Konzerte und diskutierte nächtelang über bildende Kunst, Literatur und Musik. Cages Loft in einem ehemaligen Fabrikgebäude in Manhattan war Treffpunkt der New Yorker Kunstszene. Hier lernte Feldman viele bildende Künstler persönlich kennen und begann, mit ihnen einen intensiven Gedankenaustausch zu pflegen. Zu diesen Künstlern gehörten Willem de Kooning, Philip Guston, Mark Rothko, Jasper Johns und Robert Rauschenberg. In seinem Arbeitszimmer hingen Werke dieser Künstler, und ihnen widmete er Kompositionen.

Bildende Künstler, Schriftsteller, Theaterleute und Tänzer waren es auch, die die Konzerte mit Werken von Cage und Feldman und ihren Freunden und Mitstreitern Earle Brown und Christian Wolff besuchten. Die Konzerte fanden vorwiegend in Kunstgalerien, kleinen Theatern oder Fabrikräumen statt. Alle diese Musiker waren vom herkömmlichen Musikbetrieb in Amerika isoliert. Ihre musikalische Vorgehensweise war nicht akzeptabel und störte, denn diese vier Komponisten versuchten nicht, irgendeine neue Musik zu komponieren, sondern eine prinzipiell neuartige musikalische Kunst zu erfinden.

Welche Ideen waren es nun, die Feldman so unabhängig entwickelte? Er fand für viele seiner Werke - meistens Kammermusik - graphische Notationsformen, die von den Ausführenden Mitverantwortung bei der Wahl vieler Details verlangen. Er wünschte, daß alle Klänge ihr eigenes Leben führen sollen, das heißt vom Komponisten möglichst nicht manipuliert werden. Der Ausdruckswille einer Generation von Expressionisten, von Künstlern, die Musik als Medium zum Transport irgendwelcher "Aussagen" benutzen, war ihm fremd und zuwider. Feldman akzeptierte das eigene Leben der Klänge, den Vorgang ihres Erzeugens, ihr Verklingen, ihre Dynamik und ihre Grenzen. Aus dieser Haltung heraus schuf er ein Leben lang seine Werke.

Den einflußreichen Zeitgenossen in Europa - Stockhausen, Boulez und Nono - galt er als "Dilettant", da er deren musikalische Vorherrschaft und alles umfassenden Kontrollwillen über die Klänge nicht mitmachte. Feldman interessierte die Frage: "Bis zu welchem Grad kann man Kontrolle aufgeben, aber trotzdem noch jenen letzten Rest bewahren, der es einem erlaubt, von einem Stück als seinem Stück zu sprechen?" Diese epochale Frage spielte sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Musik der damaligen Zeit eine entscheidende Rolle. Begriffe wie "informelle Kunst", "aleatorische Musik", "abstract expressionism" waren die Schlagwörter der Zeit. Feldman sprach von der "abstrakten Erfahrung", die in seinen Werken eine entscheidende Rolle spiele.

Natürlich beschäftigte einige Jahre später auch die meisten europäischen Komponisten dieselbe Frage, und man begann, Feldmans Werke aufzuführen, seine Einsichten und Haltungen zu studieren und sie teilweise sogar zu imitieren. 1970 betrat Feldman die europäische Bühne und lebte für anderthalb Jahre als Gast des Künstlerprogrammes des DAAD in Berlin. In dieser Zeit höchster Aktivität erhielt er Aufträge, große Orchesterwerke zu komponieren, stellte seine Werke in unzähligen Konzerten vor und sprach über seine Musik. Auf einmal war aus dem "Dilettanten" ein anerkannter Künstler geworden.

Ende der siebziger Jahre begann Feldman, er war inzwischen Professor an der Universität in Buffalo geworden, eine Reihe von Kammermusikwerken zu schreiben, deren Besonderheit zunächst darin besteht, daß sie von ungewöhnlicher Länge sind. Duos, Trios, Quartette, deren Aufführungsdauer zwischen einer und fünf Stunden liegt, entstanden. Bis zum Ende seines Lebens, Feldman starb 1987, hat er vierzehn solcher Werke komponiert, eine gigantische Leistung. Was ist neben der Dauer dieser Werke nun das Besondere an ihnen?

Das versuchen Theoretiker, Wissenschaftler, Journalisten herauszufinden. Man will seinem "Geheimnis" auf die Spur kommen. Ich glaube - und bin froh -, daß das bisher nicht gelungen ist. Feldmans Musik ist und bleibt rätselhaft Wenn wir seiner Musik zuhören, ist das Rätsel gelöst, ohne daß wir in der Lage wären, die Lösung auszusprechen, sie in Worte zu fassen. Fast möchte man sagen: Hören Sie einfach! Stellen Sie keine Fragen!

Doch es gibt schon Dinge, die sich dazu sagen lassen:

Die Werke erinnern an riesige Bilder, wie sie Jackson Pollock, Cy Twombly und Mark Rothko schufen, Bilder, die heute in den Museen der Welt ganze Räume einnehmen oder denen man, wie im Falle von Rothko, ganze Häuser baute, um den Maßen der Bilder gerecht zu werden. In den Werken von Feldman sind es die Maße der Zeit und das Verhältnis sowie die Proportionen der Ereignisse zueinander, die Aufführungen dieser Werke zu einem besonderen Erlebnis werden lassen.

1997, zehn Jahre nach Feldmans Tod, widmet die Stadt Gütersloh diesem Komponisten unter dem Titel "Gütersloh '97: Für Morton Feldman" eine Reihe von Veranstaltungen und eine dokumentarische Ausstellung. Elf Kammermusikwerke und drei Orchesterwerke von Feldman stehen auf den Programmen. Besonders die Orchesterwerke gehören zu den selten aufgeführten Werken. Hier in Gütersloh bietet sich die seltene Gelegenheit, die Werke "Oboe und Orchestra" kennenzulernen. Das graphisch notierte Orchesterwerk "Atlantis" ist in Deutschland noch nie gespielt worden. Die Kammermusikwerke geben einen Überblick von den fünfziger Jahren bis in die achtziger Jahre. Von den späten Werken haben wir das neunzigminütige Werk "Crippled Symmetry" ausgewählt.

Feldman war leidenschaftlicher Sammler handgeknüpfter alter Teppiche. Er wurde auf die "verschobenen" Muster in den Teppichen aufmerksam und übertrug diese, durch kunstvolle Handarbeit entstandenen Muster, auf seine kompositorischen Prozesse, das heißt, auf die Verknüpfung musikalischer Muster und Symmetrien. Es entstand eine faszinierende Musik von großer Schönheit.

Feldman selber hörte unentwegt und mit großem Engagement Musik anderer Komponisten. Manche Komponisten, wie etwa Boulez, bewunderte und verachtete er gleichermaßen, andere, wie etwa Webern, Strawinsky und Wolpe, waren ihm Vorbild. Um Feldmans "Ort" in der Musik des 20. Jahrhunderts zu bestimmen, sind zusätzlich Werke von Komponisten zu hören, mit denen Feldman sich verbunden fühlte oder die von ihm beeinflußt worden sind. Sie vervollständigen das Bild, das wir Ihnen in Gütersloh vom Komponisten Morton Feldman vermitteln möchten. Also: HÖREN SIE!




Bericht

Der nachfolgende Text (Bericht) wurde für das Programmheft des Feldmankonzertes vom 9. März 1997 zur "Musik Biennale Berlin" geschrieben.
Das Konzert war die Wiederholung des Programmes vom 21. Oktober 1978 zum "Metamusik Festival Berlin".
Programm
Why Patterns? (Uraufführung)
Instruments III
Why Patterns? (Wiederholung)
Die Solisten waren
Eberhard Blum (Flöte)
Han de Vries (Oboe)
Jan Williams (Schlagzeug)
Morton Feldman (Klavier)
Im Konzert am 9. März 1997 wurde der Klavierpart von Steffen Schleiermacher gespielt.

In den siebziger Jahren fand in Berlin in der Nationalgalerie unter der Leitung von Walter Bachauer viermal das "Metamusikfestival" statt. In dieser außerordentlich erfolgreichen Veranstaltungsserie wurde auf hohem Niveau Musik unterschiedlicher Kulturen der Welt zur Aufführung gebracht.

1978 wurden Morton Feldman, Jan Williams, Han de Vries und ich zum 3. Metamusikfestival eingeladen. Feldman entschied, zusammen mit uns seine neuen Werke Why Patterns? und Instruments III in Berlin vorzustellen. Das Konzert fand am 21. Oktober 1978 statt. Feldman hatte im April 1978 die erste Fassung von Why Patterns?, an der er mehrere Monate intensiv gearbeitet hatte, beendet und sprach ununterbrochen über dieses neue Werk. Er wollte selbst den Klavierpart übernehmen. Vor der ersten Probe in Buffalo waren wir also entsprechend gespannt. Es gab und gibt keine Partitur zu diesem Werk. Die drei Partien sind, jede für sich, genau notiert, jedoch findet bei der Ausführung keine vertikale Koordination statt. Jeder spielt seine Partie unabhängig und so genau wie möglich. Jede Aufführung des Werkes wird notwendigerweise anders ausfallen. "Proben" hieß für uns, das Werk immer wieder durchzuspielen. Wir wollten den Grad der Abweichungen und die musikalischen Folgen davon erleben. Zusätzlich änderte Feldman während der Proben ständig seine Partie und einige Male auch Details an unseren Partien ab. Er probierte einfach Dinge aus. Seinen "touch" am Klavier zu erleben, wurde in den Proben und später in vielen Aufführungen mit ihm zu einer besonderen Erfahrung für uns. In Buffalo spielten wir mehrere Voraufführungen des Werkes für Feldmans Kompositionsstudenten, die das Werk noch vor der Uraufführung genau kennenlernen sollten. In Berlin und später auch bei anderen Konzerten setzte er Why Patterns? zweimal auf das Programm, damit das Publikum die Besonderheiten des Werkes erleben konnte.

Ein Jahr vorher, am 31. Juli 1977, hatten wir in London in der Whitechapel Art Gallery in einem denkwürdigen Konzert Instruments III uraufgeführt. Feldman hatte lange an dem Programm gearbeitet. Es sollte vorbildlich werden.

Zwei dramatische Werke, Dmaathen für Oboe und Schlagzeug von lannis Xenakis und die Ursonate von Kurt Schwitters kombinierte er mit Socrate von Erik Satie und seinem Werk Instruments III. Das Londoner Konzert war eines der letzten der Oboistin Nora Post, die wegen Krankheit ihre Konzerttätigkeit beenden mußte. Danach führten wir Instruments III immer mit Han de Vries auf, für den Feldman bereits 1976 sein Werk Oboe and Orchestra komponiert hatte. In Berlin stand Instruments III zwischen den beiden Aufführungen von Why Patterns? im Programm.

Nachdem Jörn Merkert 1987 Direktor der Berlinischen Galerie geworden war, bat er mich, in den Räumen des Museums im Martin-Gropius-Bau im Februar 1988 eine Reihe von Konzerten durchzuführen. Diese Konzerte sollten ein Hinweis darauf sein, daß er künftig in den Räumen seines Museums neben Ausstellungen mit neuer Kunst auch Aufführungen mit neuer Musik wünschte. Ich widmete diese erste Serie von Konzerten in der Berlinischen Galerie dem im September 1987 verstorbenen Morton Feldman und setzte neben dem Klavierwerk Piano und dem Schlagzeugwerk The King of Denmark auch Why Patterns? auf das Programm. Der Pianist war Nils Vigeland, der bei Feldman Komposition studiert hatte und schon zusammen mit Jan Williams und mir am 5. Februar 1984 die Uraufführung von Crippled Symmetry in Berlin in der Akademie der Künste gespielt hatte. In einer zweiten Konzertserie, "Stationen der musikalischen Moderne", die im Januar 1989 ebenfalls in der Berlinischen Galerie stattfand, standen von Feldman zwei frühe Klavierwerke (Intermission 6, Projection 3) sowie die beiden Cellokompositionen Projection 1 und Intersection 4 auf dem Programm.

1995 erhielt ich den "Friedlieb Ferdinand Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung" der Stiftung Preußische Seehandlung. Von dem Preisgeld organisierten Jörn Merkert und ich eine Veranstaltung im Januar 1996 zum 70. Geburtstag von Feldman: die Aufführung eines vierstündigen Werkes For Philip Guston mit Jan Williams, Nils Vigeland und mir unter idealen Bedingungen im Martin-Gropius-Bau. Zu diesen idealen Bedingungen gehörte auch die Ausstellung des großen Feldman-Porträts "Friend - to M. F." von Philip Guston (Leihgabe des Des Moines Art Center) im gleichen Raum. For Philip Guston hatten wir bereits 1985 im Beisein Feldmans in Berlin gespielt, das Bild allerdings wurde hier zum ersten Mal gezeigt.

So ist die Berlinische Galerie im Martin-Gropius-Bau über die Jahre zu einem wichtigen Aufführungsort der Kammermusikwerke Feldmans geworden. Feldman war Zeit seines Lebens, wie kaum ein anderer Komponist dieses Jahrhunderts, eng mit der bildenden Kunst und bildenden Künstlern verbunden. Philip Guston, Willem de Kooning, Jackson Pollock, Robert Rauschenberg und Jasper Johns gehörten zu seinem Freundeskreis. In seinen Essays beschreibt Feldman den Einfluß, den diese Künstler auf ihn ausübten.

Als ich Anfang der siebziger Jahre auf Einladung Feldmans nach Buffalo kam, führte er mich als erstes in die Albright Knox Art Gallery, um mir diese vorzügliche Sammlung amerikanischer Kunst zu zeigen. Wir verbrachten Stunden vor jedem Bild und ich begann, die Wurzeln der Feldmanschen Kunst zu begreifen. Nicht zuletzt habe ich durch diesen Anschauungsunterricht für meine eigene Arbeit als bildender Künstler viel gelernt.

Natürlich sind in Berlin auch an anderen Orten als der Berlinischen Galerie Werke von Feldman aufgeführt worden. Ende Januar 1990 spielten Steffen Schleiermacher und ich im Auditorium der Akademie der Künste der DDR das dreistündige Werk For Christian Wolff. Schleiermacher, den ich kurz zuvor kennengelernt hatte, ist sicher auch durch diese Aufführungserfahrung zu einem der aktivsten Feldman-Interpreten geworden. Im Zusammenhang mit der Ausstellung "Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert" plante ich unter dem Titel "The New York School" für Juni 1993 mehrere Konzerte im Hebbel-Theater. Jan Williams, Nils Vigeland und ich spielten Crippled Symmetry und es gab eine eindrucksvolle Aufführung des selten gespielten Werkes Pianos and Voices 1 für fünf Pianisten. Dieses Werk hatte bei seiner Uraufführung in Berlin im Juli 1972 einen Skandal hervorgerufen und John Cage, einen der fünf Pianisten, zu der Aussage veranlaßt, Feldman sei ein poetischer Extremist.

Im Juli 1996 bat mich der Galerist Michael Wewerka aus Anlaß der Ausstellungsretrospektive seiner Galerie, mehrere Konzerte durchzuführen. Sein ausdrücklicher Wunsch war es, Werke von Feldman, Cage und Schwitters im Programm zu haben. Von Feldman führte der Pianist Daniel N. Seel Palais de Mari, Last Pieces und Intermission 6 auf und ich die Ursonate von Kurt Schwitters, die Feldman auch selbst immer wieder gern auf Programme gesetzt hat.

Wenn wir nun aus Anlaß dieser Musik-Biennale ein Konzert aus dem Jahre 1978 fast 20 Jahre später wiederholen, wird Feldman dadurch keineswegs zur historischen Figur. Wir wollen daran erinnern, wie wichtig ihm Aufführungen in Berlin waren, unter welchen Umständen sie stattfanden und uns fragen:
Hören und spielen wir jetzt anders?
Haben wir uns verändert?
Hat Feldmans Musik uns verändert?
Welche Zukunft hat Feldmans Musik?

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