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Morton Feldman: NEITHER

by Eberhard Blum

The following review of Sebastian Claren's book, NEITHER. Die Musik Morton Feldmans (Hofheim: Wolke Verlag, 2000), first appeared in the German new music journal Positionen (November 2000).

Im Jahre 1995 legte Sebastian C1aren seine Dissertation mit dem Titel NEITHER. Die Musik Morton Feldmans vor. Diese umfangreiche Arbeit ist, ergänzt in den Verzeichnissen und mit Abbildungen versehen, Anfang des Jahres 2000 als Buch erschienen. Da ich jahrelang mit Feldman zusammengearbeitet habe, ist der folgende Text eine ausgesprochen persönliche Stellungnahme dazu.

Während sich Marion Saxer in ihrem 1998 im Pfau Verlag erschienenen Buch between categories auf Feldmans Kompositionen aus den Jahren 1951-1977 konzentriert, also sich nicht seinem Spätwerk widmet, geht Claren in seinem Buch auf das gesamte Werk von Feldman ein. Dazu gibt es ein ausführliches Werkverzeichnis, versehen, soweit dies Claren in Erfahrung bringen konnte, mit Uraufführungsdaten und den Namen der Ausführenden. Allein dieses Verzeichnis und die folgende Diskographie, die sich natürlich ständig verändert, sind für mich eindrucksvolle Dokumente zu Feldmans Schaffen und dessen Wirkung. Es ist einfach spannend zu studieren, wer die Musik von Feldman aufführte und wo sie aufgeführt wurde. Bei einem so wichtigen Werk wie Instruments II fehlen diese Angaben leider. Bei unserem persönlichen Gespräch über Feldman hätte Claren diese Daten von mir erfahren können, da ich bei der Uraufführung mitgewirkt habe. Sie fand am 4. Juni 1976 zum Festival June in Buffalo statt. Es spielten Mitglieder des Center of the Creative and Performing Arts. Der Dirigent war Jan Williams.

Fast ebenso interessant ist es, die Biographie von Feldman zu lesen, die Claren mit vielen neuen Daten, Ereignissen und Zitaten versehen, zusammengestellt hat. Hier hätte ich allerdings einige Akzente wesentlich anders gesetzt. Feldmans Berlinaufenthalt (1971-72) zum Beispiel war für ihn weit wichtiger als uns die Biographie vermittelt. Zum ersten Mal in seinem Leben wohnte er für längere Zeit außerhalb New Yorks. Seine Wohnung in Berlin befand sich in der Nähe des Olympiastadions. Er hatte die Olympiade 1936 als Kind in den amerikanischen Zeitungen und im Radio verfolgt. Die Ermordung und Vertreibung der europäischen Juden war immer Teil seines Bewußtseins. Nun lebte er, der New Yorker Jude, am Ort dieses Geschehens. Er sprach sehr oft davon und sagte, daß sein Aufenthalt in Berlin ihn erst zum Juden gemacht hätte. Eine Aussage, die ich für Feldmans Biographie bedeutend finde und unbedingt hätte erwähnt werden sollen.

Claren datiert den Beginn von Feldmans Spätwerk auf 1984. Ich behaupte, Gespräche mit Feldman belegen mir dies, daß sein Spätwerk bereits 1978 mit Why Patterns? beginnt. In diesem Werk sind fast alle Verfahrensweisen der späten Werke im Kern bereits angelegt. Auch wollte Feldman mit diesem Werk wieder aktiv als Pianist an Aufführungen seiner Musik teilnehmen. Die Besonderheiten von Why Patterns? sind auch durch Feldmans Fähigkeiten als Pianist wesentlich geprägt. Damit sich auseinanderzusetzen wäre bestimmt aufschlußreich. Nicht umsonst gründete er ein Ensemble und nannte es Morton Feldman and Soloists. Es gibt wenige Werke von ihm, über die er selbst so viel geredet hat und die er immer wieder aufführen wollte. Schließlich fände ich es unbedingt erwähnenswert, daß der Hessische Rundfunk, der in der europäischen Feldman-Rezeption die tragende Rolle gespielt hat, im Dezember 1987 im Städel Museum in Frankfurt/Main ein Konzert zum Andenken an Feldman veranstaltete. Wir führten For Philip Guston auf, das er für Jan Williams, Nils Vigeland and mich komponiert hatte. John Cage sprach einleitende Worte und sagte unter anderem: auch wenn Feldman nicht mehr da ist, so hätten wir doch immer seine Musik.

Trotz meiner Ergänzungswünsche habe ich die Biographie mit großem Interesse gelesen und kann sie nur jedem empfehlen. Die Werkbeschreibungen und Analyseversuche, die Claren so umfangreich und genau betreibt, lassen mich, wie überhaupt alle solche Annäherungsbemühungen an musikalische Kunstwerke, kalt. Ich weiß, auch Claren möchte Feldmans "Geheimnis" auf die Spur kommen. Ich glaube und bin froh, daß dies nicht gelungen ist. Feldmans Musik ist und bleibt rätselhaft. Solange wir seiner Musik zuhören und sie selber spielen, ist das Rätsel gelöst, ohne daß wir in der Lage wären, die Lösung in Worte zu fassen und sie auszusprechen.

Allen Freunden und besonders den Feinden von Feldman sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

Also Lesen Sie!

© 2000 Eberhard Blum

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