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Leinwände und Zeit-Leinwände

Anmerkungen zu Morton Feldmans Filmmusiken

von Peter Niklas Wilson

The following notes were first published in the liner notes accompanying a CD of Feldman's film music performed by ensemble recherche on the Kairos label, Morton Feldman: Something Wild - Music for Film (0012292KAI).

Denken wir an Morton Feldman, so denken wir meist an eine reine, kristalline Musik. Mit dem Klang im Jetzt sein, Musik ohne Geschichten und Geschichte: So erfahren wir diese so wunderbar undramatische Kunst. Natürlich wissen wir um Feldmans enge Liaison mit der Malerei, seine Beziehung zu Mark Rothko, Philip Guston, Franz Kline, Willem de Kooning, Jackson Pollock, Robert Rauschenberg; natürlich wissen wir um den Einfluss des amerikanischen Abstrakten Expressionismus auf Feldmans kompositorische Haltung. Und doch würden wir zögern, bei Stücken wie Rothko Chapel oder For Philip Guston von Programmmusik zu sprechen. Umso mehr mag es also erstaunen, wenn man bei der Durchsicht von Feldmans umfangreichem Werkkatalog eine ganze Anzahl von Arbeiten findet, die man in die Kategorie »funktionale Musik« einreihen kann. War Feldman vielleicht viel weniger puristisch, als ihn manche seiner Jünger gern hätten? Eine solche Vermutung wird jedenfalls durch Feldmans Musik für Filme untermauert, Kompositionen überwiegend aus den fünfziger und sechziger Jahren, die uns tatsächlich einen »unknown Morty« zeigen. Feldman als Hollywood-Breitwandkolorist? Das natürlich nicht, auch wenn es da eine Anekdote gibt, die aufs trefflichste die Inkommensurabilität von Feldmans Musik für konventionelle Spielfilm-Zwecke illustriert. Von Jack Garfein mit Musik zum Film Something Wild beauftragt, entwarf Feldman für eine Szene zu Beginn, in der die Hauptdarstellerin (und Garfein-Gattin) Carroll Baker vergewaltigt wird, eine Feldman-typische Klangleinwand für Horn, Streichquartett und Celesta. Die Reaktion des entgeisterten Regisseurs: »Meine Frau wird vergewaltigt, und Sie schreiben Celesta-Musik?« Was das prompte Ende dieser Zusammenarbeit bedeutete. (Aaron Copland war dann in der Lage, Garfeins Vorstellungen weitaus besser gerecht zu werden.) Feldmans Einstieg in das Metier »Komposition für den Film« fand allerdings unter wesentlich günstigeren, ja geradezu idealen Vorzeichen statt. 1950 drehte Hans Namuth, der 1933 in die USA emigrierte Filmemacher und Photograph, gemeinsam mit Paul Falkenberg einen Dokumentarfilm über Jackson Pollock, ein Zehn-Minuten-Werk, das mit originellen Mitteln versuchte, die spezifische Dynamik von Pollocks Malerei einzufangen. Namuth ließ Pollock auf einer aufgebockten Glasplatte arbeiten und filmte die gestische Arbeitsweise des »drip painting«-Aktionisten von unten. Nach Fertigstellung des Films unterlegte der Cutter Paul Falkenberg die Bilder mit den Klängen indonesischer Gamelanmusik, was Pollock zum Kommentar veranlasste: »Aber Paul, das ist exotische Musik. Ich bin ein amerikanischer Maler!« Daraufhin setzte sich Pollocks Frau Lee Krasner mit John Cage in Verbindung, der den Auftrag jedoch ablehnte, da er Pollocks Malerei verabscheute - und Feldman empfahl. Feldman (der Cages Aversion keineswegs teilte) hatte eigentlich ein Stück für Cello solo im Sinn, erweiterte es aber auf Bitte Falkenbergs zu einem Cello-Duo, das im Mai 1951 von Feldmans Schulfreund Daniel Stern im Mehrspurverfahren aufgenommen wurde. Im darauffolgenden Monat wurde der Film im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt. Für Feldman, damals noch weitgehend unbekannt, bedeutete dieser prestigeträchtige Auftrag (für den er mit einer Tuschezeichnung Pollocks entlohnt wurde) den Einstieg in die Kunstwelt - und eine Bestätigung seiner musikalischen Orientierung. Denn mag man sich zunächst fragen, welcher Zusammenhang zwischen Pollocks entfesselter Energetik und Feldmans akustischem Filigran, zwischen Pollocks biomorphen Farbwirbeln und den rational-akkuraten Linien, Kästchen und Zahlen von Feldmans »graph pieces« auf Karopapier bestehen könne, so gab es doch, wie der Komponist später feststellte, tiefere Korrespondenzen: »Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, fällt mir auf, wie sehr die musikalischen Ideen, die ich um 1951 hatte, seiner Arbeitsweise entsprachen. Pollock legte seine Leinwand auf den Boden und ging um sie herum, während er malte. Ich hängte mein Karopapier an die Wand; jedes Blatt rahmte die gleiche Zeitdauer ein und war im Grunde eine visuelle rhythmische Struktur. Was Pollock ähnelte, war meine >all over<-Herangehensweise an diese Zeit-Leinwand.« Auch Hans Narnuth war offensichtlich überzeugt vom Dialog von Bilder - und Tonsprache, denn zwölf Jahre später, gab er bei Feldman eine weitere Musik in Auftrag, diesmal zu einem Film über Willem de Kooning. Feldman hat das Stück - De Kooning für Horn, Schlagzeug, Klavier, Violine und Violoncello, eine Studie in der Gegenüberstellung präzise koordinierter Akkorde und frei aufeinanderfolgender Einzelklänge - auch ohne den Film-Kontext als lebensfähig empfunden und die Partitur (anders als die des Pollock-Duos) zur Veröffentlichung freigegeben, ein Beleg dafür, dass Feldman trotz der Funktionsbindung der Partitur der Meinung war, hier ohne Einschränkungen seine Musik geschrieben zu haben.

Anders liegt der Fall bei der Musik zu dem Film The Sin of Jesus (ehemals Score for Untitled Film) von 1960/61, eine aus sechs Segmenten bestehende Partitur für Flöte, Trompete, Horn und Violoncello, die sich stellenweise bis zum Horn-Cello-Duo (2. Teil) und zum Cellosolo (6. Abschnitt) ausdünnt und fast durchweg zwischen 4/4- und 3/4-Takt pendelt. Feldman-atypisch wirkt hier am ehesten die dynamische Bandbreite, die alle Stufen zwischen ppp und ff umfasst und auch dramatische Crescendi, Schweller und Decrescendi nicht scheut.

Dass Feldman indes sehr wohl fallweise willens - und in der Lage - war, seine Musiksprache den ästhetischen (oder kommerziellen) Notwendigkeiten eines Film-Kontextes anzupassen, belegt die fünfsätzige Partitur Samoa (1968) auf frappierende Weise. Die Musik wirkt so, als habe Feldman selbst ein Exempel dafür statuieren wollen, wie man die kulinarischen Momente seines Komponierens betonen und dazu noch ihren intervallischen Gehalt harmonisch und melodisch glätten könnte. Geschmäcklerisch die Harfenarpeggien des Beginns mit dem sie beschließenden Glöckchen-Klang; fast zu schön, um Feldman zu sein die beidhändigen Klavierarpeggien kurz danach; wie ein Hybrid aus Satie-Imitat (Gymnopédies, versteht sich) und Jazzballade die spätere diatonische Hornkantilene mit opulenten Harfenakkorden, vorwiegend Durklängen mit oder ohne hinzugefügter großer Septime.

Feldman for Lovers? Jedenfalls: Feldman für den Film. Über die Entstehungszeit und den kinematographischen Kontext der in Clarens Werkliste[1] lapidar als »Filmmusik ohne Titel« aufgelisteten Komposition wissen wir nichts (auch wenn manches für die späten sechziger oder frühen siebziger Jahre spricht). Wohl aber ist die Partitur ein weiterer Beleg für die Aktivitäten des Film-Pragmatikers Feldman. Der Notentext (in Feldmans Handschrift) vermerkt genau die Sekunden-Dauern einzeiner Passagen und vermittelt durch die Zwischentitel etwas von der Bilderwelt des unbekannten Films: City, The Beach, Theme, Intro, King-Cross Night, Girls Theme, Last Shot, The Park, Drinking Water, Into Sheep Country und Desert sind die musikalischen Miniaturen für Bläser, Schlagzeug und Kontrabass überschrieben, und der Vermerk »Watch Feldman for Cut Off!!!« am Ende von Last Shot belegt, dass der Komponist offenbar auch als Dirigent an der Einspielung der Musik beteiligt war. Viele dieser »Sätze« sind nicht mehr als Klang-Momente, klingende Signets, und auch in der Faktur ist diese Musik deutlich kontext-orientiert. Ein dreitöniges Kontrabass-Ostinato grundiert nicht nur das mit einer Trompetenfanfare schließende City, sondern, in verschiedenen Permutationen, auch andere Texturen, und ein regelreches Thema wie im B-Teil von The Beach - zunächst von Horn und Trompete, dann regelrecht Big-Band-artig von sechs Bläsern intoniert -, würde man in Feldmans »reiner« Musik jener Jahre nur selten finden.

Note:

  1. Sebastian Claren. Neither. Die Musik Morton Feldmans. Hofheim/Ts, Wolke Verlag 2000. S.547 ff.


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