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Ist nicht Morton Beckett...Samuel Feldman...?

eine Annäherung an eine Mutmaßung von Hans-Peter Jahn

Mit einer gewissen Sturheit will die Musikologie noch immer Samuel Becketts Einzigartigkeit aufgehoben und resonierend in der Musik Morton Feldmans verstanden wissen. Die Indizien dafür sind bekannt, fast abgestanden wie unbewegliches Gewässer, lachend vor sich hinstinkend. Feldmans Musik sei, ohne etwas zu sein. Eine Musik ohne Anfang und Ende, absichtslos, verstrickt in die eigenen Strickmuster, ins Gewebe der irrationalen, sich minutiös wandelnden Tonhöhen und Rhythmen. Eine Musik, deren Bewegungslosigkeit in stetiger Bewegung aufgelöst scheint, die zur Statik verdonnert ist, ohne zu lärmen und dennoch durchzuckt zu sein von Blitzen.
Zu Recht sei sie so komponiert, daß ihr ihr esoterischer Schimmer einen Exegeten-Kreis beschenkt und das Gegenteil auch: wild fuchtelnde Besserwisser, also Gegner, denen Feldman, als er noch lebte, sein brüllendes Lachen und die Inszenierung einer recht gut funktionierenden Arroganz entgegenschleuderte. Europas Musikdenken war ihm fremd, manchmal verhaßt; da übergoß er alles, was in den Ländern dieses Kontinents kompositorisch gesetzt wurde, undifferenziert, manchmal denunzierend mit Verachtung, machte sich damit als Angreifer selbst angreifbar, machte sich sympathisch-unsympathisch. Vielleicht war ihm sein eigener Übervater John Cage menschlich zu groß, als daß er solcherart Größe noch einmal in Europa hätte ausstrahlen wollen. Feldman mußte klotzen, wo er auf europäisches Musikholz stieß. Und noch etwas. Die Installation der Stille in die Musik machte ihn zum Heiligen, zum Wüstenrenner. Wer ihm barfüßig nachrannte, verbrannte sich die Sohlen an dieser Dauerstille, die er - von Webern inspiriert - für sich reklamierte. Das war sein nicht unerhebliches Mißverständnis und das der vielen Feldmanapologeten. Weberns Stille besteht aus der Dialektik des Gegensatzes. Sie behauptet sich im Extrem, weil ihr Umfeld fast immer mit kurzzeitigem Fortissimo geladen ist. Sie, die Webern'sche Syntax ist durch und durch europäisiert.
Feldmans Musik hingegen ganz in der Nichttradition amerikanisch. Sie verbaut in der Stille mit Stille der Zeit ihre Attraktivität und sucht darin der "Langeweile" ein Domizil.

Bei aller gründlichen Untersuchung solcherart relativer Oberflächlichkeiten im Werk Morton Feldmans bleibt eines außer acht, vielleicht das Wesentliche seiner Musik ... nämlich ihre Wirkung auf den einzelnen. Kaum je eine andere Musik kann so wenig kollektiv gehört, geschweige denn beurteilt werden. Der Hörer ist in ihr allein, ihr ausgeliefert, manches Mal sogar der eigenen Peinlichkeit, wenn bei besonders langen Stücken die Geduld reißt und die Ermüdung durch die Reihen der restlichen Versenkten störend wankt. Antipathie der Musik Feldmans gegenüber provoziert bei anderen - auch bei seinen Gegnern - sofort Sympathie. Das ist bei ihm wie ein Naturgesetz. Wer auf diese Musik schimpft, hat nicht nur Gegner, sondern stigmatisiert sich in seinem intellektuell-musikalischen Anspruch.
Worin liegt die Wirkung der Musik Morton Feldmans?
Vielleicht mag sie im faszinierenden Umgang mit der Instrumentation der Werke liegen, in dem ausgehorchten Klang, bestimmt durch die sorgfältig gewählten Lagen der Instrumentalstimmen, in den Mixturen auch gleicher Klangfarbenträger (z.B. im Streichquartett), die etwas freisetzen, was es an Klang zuvor auf diesem Planeten noch nicht gab. Lichtdurchtränkter Klangglanz ... kontemplative Trauer in Schönheit gegossen ... konsonantische Intervalle im Verbund mit Dissonanzen so gesetzt, daß im Obertonspektrum ein Klirren und Schwirren erwacht ... alles in Bewegung ohne Erstarrung trotz immergleicher repetitiver Variantenmuster ... sich immerfort unaufdringlich verwandelnd nach unlogischen, ja irrationalen Entscheidungen ... stetiger Fluß, dessen zufällige vom Untergrund beeinflußten Wellenimpulse Glitzern, Flimmern, Leuchten, Widerspiegelungen freisetzen ... also doch wie eine Wasseroberfläche, die ihren natürlichen Atmungen keine Gegenwehr bietet? ... für den sich einen eigenen, inneren Reichtum bildenden Empfindungsmenschen eine Oase, von der aus er ins absichtslos Reine geführt wird? "Erhöhte" Konzentration und "erhörte" erfordert Feldmans Musik. Eine Art freier Fall in die ureigensten Distrikte geistiger Aktivität, die nichts mit intellektueller Präsenz oder rationalem Nachvollzug der musikalischen Ereignisse im Flusse der Zeit gemein hat.

So ließe es sich entlang der Wirkung der Musik von Morton Feldman lange weiterdenken und weiterformulieren, es ließen sich mit Sprachfinten Eindrücke verbalisieren, die doch nur stümperhafte Übertragungen eines Klangphänomens sind.
Zu den eindrücklichsten Rätseln zählen Feldmans Versuche, sich der Gattung Literatur zu nähern, ihr etwas musikalisch zuzusprechen, was mit ihr direkt nichts zu tun hat.
Wenige Male hat Morton Feldman Texte ins Musikalische übertragen, genau neun Mal: Louis Ferdinand Céline ("Journey to the End of the Night" 1947), Rainer Maria Rilke ("Only" 1947), Edward Estlin Cummings ("Four Songs" 1951), Morton Feldman ("Intervals" 1961), Frank O'Hara ("The O'Hara Songs" 1962 und "Three Voices" 1982) und Samuel Beckett ("Neither" 1976/77 und "Words and Music" 1987).
Diese Abstinenz auf dem Gebiet der Vertonung machen ihn als Komponisten bemerkenswert und inkommensurabel in der Art, wie er die Texte der Musik zuordnet. Nicht daß er die zunächst noch authentisch verfügbaren literarischen Vorlagen in ihren Vertonungen plötzlich als mehrstimmiges, vöIlig aufgelöstes, in viele Einzelbestandteile amputiertes Sprachwerk erscheinen läßt, um sie dann wieder - zusammen mit Tönen und Notenwerten - neu, anders, verwandelt zusammenzusetzen. Gibt es im Bereich der schreibenden Zunft allenfalls ein paar wenige absurde Versuche, wo Musik in Sprache gezwungen wurde, so gibt es unter den Tonsetzern noch nicht einmal eine Hand voll solcher, die Literatur unangetastet lassen. Feldman gehört nicht zu ihnen.
Die Vertonungssehnsucht veritabler literarischer Kunstwerke ist nicht nur ein kunstgeschichtliches Kuriosum. Diese Tatsache verweist auf das Mißtrauen der Komponisten gegenüber der alleinigen Ausdruckskraft der Musik. Ausdruck ohne Inhalt, Gehalt ohne Semantik reicht den meisten Komponisten nicht. Sie wollen sprechen wie ihre schriftstellernden Kollegen, wollen sagen, was die Musik nicht aus sich heraus sagen kann und ... sie okkupieren von daher das sie Bewegende in Gestalt von Literatur. Sie reden sozusagen doppelzüngig: mit dem komponierenden Bauch imitieren sie das Fremdgedachte und mit dem Kopf sprechen sie in Tönen.
Ob die Tonsetzer der Literatur ihre kompositorischen Methoden plump oder artifiziell aufprägen, grenzenlos empfinden sie den Dienst, den sie der Dichtkunst erweisen: ihr nämlich über ihre sprachlichen Grenzen hinwegzuhelfen. Musik zeichnet so also illustrierend, imitierend, reflektierend aus, was Dichtkunst immer schon sagen konnte, aber ohne Musik nicht sagen soll.
Morton Feldman war sich dieser institutionalisierten Dummheit bewußt. Gerade deshalb war die späte Annäherung an das Werk Samuel Becketts alles andere als leicht. Verwandtschaft in der Methode des Setzens unterstellte er sich und dem Dubliner. "Setzung" - wie Wolfgang Rihm sagen würde - der sprachlichen Bausteine und der musikalischen.
Wiewohl ein schärferer Blick auf die Faktur der Beckett'schen Texte veranschaulicht, daß zwar die Reduktion auf ein bestimmtes Wortmaterial, die Permutationen mit diesem und die Wiederholungen in Varianten Feldmans Pattern-Kompositionen nahe kommen, daß aber bei Becketts Wortritualen das wenigste Klang denn vielmehr Inhalt wird. Immerfort ein Kreisen um die engste Beengtheit, in welcher erfundene Theaterfiguren sich hineinverirren, ohne noch reflektieren zu können über das Wieso, weist weder auf Musikalität noch auf komponierte Literatur, sondern auf schwärzestes Licht in pechschwarzer Nacht. Bewußte Farblosigkeit also, rhythmisiert durch Wiederholungsprozeduren. Das ist das Ergebnis von literarischer Technik und kunstvollster Sprachbehandlung.
In Becketts frühen Stücken, in Luckys ("Warten auf Godot") autistisch-genialem Denk-Ausfluß, wenn sich die Gedankenhülsen wiederholen, stellt sich nicht Musik, nicht irgendein Teppich gewebtes Muster ein, sondern pure Komik, weil aus einem 'human beings' ein Apparat wird. Winie ("Glückliche Tage") strotzt vor Humor, obschon es nichts zu lachen gibt, da ihr Gefängnis offenkundig ist. Oder die Stimme in "Cascando". Reduziertes, sich nach irrationalen Regeln wiederholendes Wortmaterial evoziert nicht Musik (Beckett zieht diese ja als eigene Qualität hinzu), sondern greuliche Mechanik mit ihrer schrillen Maske. Selbst noch in den späten Werken, wenn zum Beispiel in "Not I" nur noch ein weiblicher Mund als Öffnung für unverdauten Sprachmüll Selbsterkundungen unter zeremoniertem Zwang anstellt, geschieht zuallererst Literatur und für den Zuhörenden die Ermunterung zu verzweifelten, heiteren, empörerischen Assoziationen. Hier ist ein Mensch reduziert auf seinen Mund und dieser Mund reduziert auf ein Sprechen, das ein nichtexistierendes Gehirn steuert. Dieses Sprechen in seiner durch Beckett inszenatorisch angewiesenen Art ist Klangfluß und zugleich Sprache gewordener Ausdruck einer tragischen, sich selbst reproduzierenden Existenz. Eine Heldin, die in ihrer selbsteingerichteten Hölle sprechen muß.

Morton Feldman und Samuel Beckett.
Sie stehen sich gegenüber in ihrer Autonomie und es stehen sich diametral entgegen die Wirkungen ihrer artifiziellen Mechanikmechanismen.
Daß man die beiden Unvergleichlichen zusammenbringt, ist das Verdienst etlicher Äußerungen Morton Feldmans über die Ähnlichkeit seiner Arbeitsweise mit jener von Beckett. Daß damit aber die Musik des Amerikaners in kongenialer Weise Becketts Texten auf den Leib rückt, sie geradezu vermusikalisiert, halte ich für eine leichtsinnige Behauptung, besser noch: schlichtweg für ein Mißverständnis.

Die angewandten Methoden beim Komponieren und beim Schreiben von literarischen Texten zeitigen andere Ergebnisse und damit andere Wirkungen. Die Wiederholung einer musikalischen Phrase mag dem Wunsche nach "Nocheinmalhörenwollen" entspringen, und wohl kein Mittel der Musik wirkt besser, um aus hörenden Individualitäten leidenschattlich sich auslebende Massenkreaturen werden zu lassen.
Die Wiederholungen von Wörtern oder Sätzen ist - im Gegensatz zu den wiederholten Noten - in ihrer Wirkung abhängig von der Bedeutung der Wörter und Sätze. Im Kontinuum, also in der Stetigkeit des Immergleichen mit kleinen Variablen, entblößt sich nicht die Sprache oder der die Sprache setzende Autor, sondern die sprechende Person als Figur einer fiktionalen Realität. Im Kontinuum gleicher musikalischer Floskeln mit kleinen Varianten innerhalb der Pattern, also in einer elaborierten Minimalmusik, entblößt sich nicht der Interpret, sondern unter einem ganz bewußt replizierten europäischen Blick heraus der amerikanische Komponist.

Wo bei Beckett Worte wie "Trostlosigkeit", "Verzweiflung", "Gebrochenheit", "Isolation" zur Beschreibung der Werke als marginale Eckpfosten in die undefinierbare Spracherde gerammt werden, widerlegen die bei Feldman gefundenen Worte zu seiner Musik wie "Kontemplation", "Zartheit", "spannungslose Spannung", "Schönheit" die weit verbreitete Meinung von der symbiotischen Einheit der Werke beider.
Oder anders gesagt: Asche ist nur unter Reflexion ihrer Genesis mit Lichtglanz vergleichbar. Ansonsten haben sie eine einzige Gemeinsamkeit: flächenhaft ausgebreitete Substanz. Womöglich ist der unüberbrückbare Gegensatz zweier vielleicht aus gleicher Arbeitsweise heraus entstehenden Kunstwerke der Musik und Literatur das einzig Gemeinsame. In diesem Paradoxon hätten sich Morton Beckett und Samuel Feldman wohlgefühlt.

"For Samuel Beckett" ist Morton Feldmans letzte Komposition, im Jahre 1987 innerhalb eines längeren Zeitraums geschrieben. Sie hätte auch "For Franz Schubert" lauten können. Weil ein Komponist noch einmal mit den letzten Lebenskräften hingebungsvoll sich seiner eigenen Mittel bedient und das Ergebnis einem bewunderten Menschen zueignet, bleibt das Werk im Sinne einer Mutmaßung über den Namensträger der Komposition eine Nebensache.
Die Hauptsache bei Feldmans knapp fünfundfünzig Minuten dauernden Komposition ist das Ausgeliefertsein des Hörenden beim schleichen den Wandel der musikalischen Ereignisse innerhalb der Zeit. Darüber läßt sich nichts Allgemeingültiges sagen. Das Nicht-Allgemeingültige ist Morton Feldmans Vermächtnis.

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