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The following article reviews two recent books on Feldman and his music: | ||
Sebastian Claren: Neither. Die Musik Morton Feldmans. Wolke (ISBN 3-923997-90-6) 635 Seiten DM 148 |
and | Marion Saxer: Between Categories. Studien zum Komponieren Morton Feldmans von 1951 bis 1977. PFAU (ISBN 3-89727-026-9) 270 Seiten DM 48 |
The reviews were first published in MusikTexte 86/87 (Claren) and Positionen 43 (Saxer). |
Eine Arbeit über die Musik des amerikanischen Komponisten Morton Feldman, wie sie der junge Berliner Komponist und Musikwissenschaftler Sebastian Claren vorlegt, wäre bloß eine vorbildliche und sehr gründliche Arbeit zu nennen, wäre sie in - sagen wir einmal - zehn oder fünfzehn Jahren veröffentlicht worden. In der Zwischenzeit wäre die immer noch recht karge Literaturlage um wichtige Beiträge bereichert worden, neue Quellen hätten entdeckt und allgemein zugänglich gemacht werden können, weitere Studien hätten den schmalen Bestand an handfesten Werkanalysen vergrößert und den Blick in die oft nur schwer zugänglichen Partituren erleichtert. Das wäre genug Arbeit für viele gewesen, und wenn die einmal geleistet worden wäre, dann hätte man sich endlich an das wagen können, was Claren längst schon erfolgreich abgeschlossen hat: eine erste Monografie des Gesamtwerks von Morton Feldman.
Selten nur hat in der Musikforschung ein erster Schritt so weit geführt. Für "Neither. Die Musik Morton Feldmans", so der Titel der im Wolke-Verlag erschienenen Arbeit, ist eben "Neither", die einzige Oper Feldmans, Ausgangs- und im gewissen Sinne auch Zielpunkt. Dieser formale Rahmen des sechshundert Seiten starken Buchs führt allerdings in die Irre. Schließlich ist es weniger das Werk selbst, so wesentlich es für die Entwicklung von Feldmans Musik auch sein mag, als sein Name, der als Orientierungsmarke für das Gesamtwerk taugt. "Neither", das meint im Englischen, entgegen landläufiger Übersetzung, nicht nur "weder", sondern gleich schon "weder-noch". "Weder-noch", das ist der Schlüssel zum Denken eines Komponisten, der ein Leben lang auf der Möglichkeit beharrt, sich nicht zwischen vermeintlichen Alternativen entscheiden zu müssen. "Jahrhundertelang," so schreibt er 1967 in einem Aufsatz, "jahrhundertelang waren wir die Opfer der europäischen Zivilisation. Und alles, was uns Europa gegeben hat, ist eine Entweder-Oder-Situation - in der Politik wie in der Kunst." Feldman aber wollte sich eben nicht entscheiden: nicht für den Zufall wie Cage und nicht für das System wie Boulez, nicht für eine Musik, die es der von ihm bewunderten Malerei der Abstrakten Expressionisten gleichmachen und zu reinen Oberfläche würde, aber auch nicht für eine Musik, die ihr Material nur als einen Baustein benutzt für etwas, was seiner Meinung nach hinter dem Klang liegt: für Konstruktionen, Konzepte und Ideen.
Getreu seiner Weder-noch-Devise hat sich Morton Feldman auf eigenen Lorbeeren nicht ausgeruht: weder auf seiner Entwicklung einer der ersten unbestimmten Notationsformen Anfang der 50er Jahre noch auf jenen aus kleinen Mustern gebauten, zuweilen stundenlangen Werken der späten 70er, frühen 80er Jahre, die ihm unverhofften Ruhm einbrachten. Deren Erfolgsrezeptur gibt er - wie Claren nun ausführlich darlegt - in seinen allerletzten Lebensjahren, zwischen 1984 bis 1987, wieder auf und revidiert ein neues Mal seine Kunst. Damit korrigiert der Autor die gängige, aber leichtfertige Meinung, die Kompositionen ab 1977 stellten ein mehr oder minder geschlossenes Spätwerk dar: die Rede von einem Spätwerk, das ja immer so etwas wie einen Abschluß, eine definitives Ende meint, wäre denn auch nicht in Einklang zu bringen mit der grundsätzlich kritischen Haltung, die Feldman auch seiner eigenen Arbeit gegenüber einnahm. Einer künstlerischen Praxis, die sich so entschieden von der Idee präformierter Konzepte distanziert, kann es nicht darum gehen, irgendwann ein Ziel zu erreichen.
Clarens Untersuchung räumt weit mehr Mißverständnisse aus dem Weg als nur dies. Aufgrund der ungeheuer reichhaltigen und sehr sorgfältig gesichteten Quellen, die der Autor zusammengetragen hat, kann er erstmals in dieser Gründlichkeit die kompositorische und intellektuelle Entwicklung Feldmans Schritt für Schritt und detailgenau nachzeichnen und argumentieren, wo bisher nur vermutet wurde: etwa bezüglich der sich wandelnden, doch stets immensen Bedeutung der bildenden Kunst für Feldmans Arbeit, hinsichtlich des sich ändernden Verhältnisses zu Tradition und Geschichte, des immer wieder erwähnten, aber bisher nie erforschten Einflusses orientalischer Teppiche auf die Werke der letzten zehn Jahre oder auf scheinbar selbstverständliche, aber am Ende doch dunkle Begriffe wie "Variation", "Abstraktion", "Orchestration", "Muster", "Form" und "Maßstab" und viele andere.
Die Akribie, mit der Claren selbst Fragen am Rande zu Leibe rückt und größtenteils auch gewinnbringend klärt, versetzt selbst den abgebrühten Leser von wissenschaftlicher Literatur manchmal in gelindes Erstaunen. So war eine irreführende oder vielleicht auch nur ungenaue Bemerkung Feldmans bezüglich der Entstehung von "Krieg und Frieden" dem Autor ganz offensichtlich die vollständige Lektüre der englischsprachigen Tagebücher von Tolstois Tochter Tatjana wert, um den Leser am Ende in einer kleine Fußnote allein von der Ergebnislosigkeit dieser Recherche in Kenntnis zu setzen. Ähnlich aufwändig recherchiert sind zahlreiche Hinweise zum Komponieren Feldmans, die sich auf Details wie etwa auf Wiederholungszeichen, Taktarten oder Intervalle, auf Transponierungstechniken etc. beziehen, und für deren Formulierung (im Tenor von: "Vor 19xx hat Feldman nie..." oder "In den Werken bis 19xx erscheinen ausschließlich...") nichts weniger als die jeweils vollständige Durchsicht aller Partituren vonnöten gewesen sein muß. Über einige Resultate gerade von Clarens analytischen Arbeit wird man sicher verschiedene Ansichten teilen können, besonders über den - meiner Ansicht nach - mißverständlichen Gebrauch des zentralen Begriffs "Muster" - an der grundsätzlichen Zuverlässigkeit der Untersuchung rührt das allerdings nicht.
Sebastian Clarens Arbeit ist bahnbrechend, und sie wird auf lange Sicht der Maßstab sein für jede fundierten Auseinandersetzung mit der Musik Morton Feldmans. Erstmals bietet sie eine umfassende und nahezu erschöpfende Einführung in das Gesamtwerk, die zu lesen der gelegentliche Hang zu Monstersätzen etwas erschwert, aber ganz und gar nicht verleiden kann.
Beinahe ein ideales Gegenstück zu Clarens Arbeit ist die bei Pfau verlegte Dissertation von Marion Saxer, die ihren Blick deutlich enger fokussiert Saxer auf den ästhetisch-philosophischen Hintergrund von Feldmans Schaffen. Dass sich die Autorin auf Selbstauskünfte und - interpretationen des Komponisten stützt, aber nicht verläßt, also auf Interviews, Vorträge und Essays, und fortwährend aufs Werk selbst und dessen genaue Analyse verweist, stellt die Untersuchung von Beginn an auf ein solides Fundament. So bleibt guter Abstand gewahrt zu jenen populären Phrasen, die die Feldman-Rezeption aus Unkenntnis des Faktischen (darin derjenigen von John Cage ähnlich) zuweilen in Misskredit gebracht haben. Dennoch ist freilich ein Vorentwurf des Ergebnisses vonnöten, um eine funktioniernde Verfahrensweise zu entwickeln. Saxer bildet ihn in "Between Categories. Studien zum Komponieren Morton Feldmans von 1951 bis 1977" zunächst aus dem aus der bildenden Kunst entlehnten Begriff der "Non-Relational-Art", die die Idee des Werks als einem Beziehungsgefüge seiner Einzelteile aufgibt zugunsten "der möglichst unmittelbaren Wirkung des künstlerischen Mediums,() die sich jenseits ordnender Regularien in der Wahrnehmung entfalten soll." (S.11) Während Feldmans enge Beziehung zum Amerikanischen Abstrakten Expressionismus in der Literatur bereits häufiger erfolgreich (wenn auch längst nicht erschöpfend) diskutiert wurde, ist Saxers Darstellung der Parallelen zur Philosophie des amerikanischen Pragmatikers William James ein ertragreiches Novum: denn abseits der noch nicht genau zu beantwortenden Frage, in wieweit sich Feldman überhaupt mit James auseinandergesetzt hat, ist mit dessen Idee eines "stream of consciousness" ein genauer erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt fixiert, von dem aus sich Feldmans Entwicklung bis hin zum pattern-bestimmten Spätwerk ab 1977 ideengeschichtlich klar nachzeichnen läßt. So überzeugt nicht nur die These der Autorin, die "Preisgabe relationaler Ordnungsgefüge kommt der Jameschen Abschaffung transzendentaler Kategorien gleich" (S.260), sondern auch die Gewissenhaftigkeit, mit der sie - mit Blick auf James und die bildende Kunst - Feldmans kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten verfolgt, das Ideal der "Unmittelbarkeit" (rezeptionsästhetisch) und des "Im-Material-Seins" (produktionsästhetisch) kompositorisch zu bewältigen. Dass Feldman am Ende an diesem Problem sich die Zähne ausbeisst, führt Saxer nicht zuletzt auf die gescheiterten Bemühungen zurück, mit musikalischer Notation ein Pendant zu entwickeln für sogenannte "indexikalische Zeichen" der Malerei - gemeint ist damit eine Art Fingerabdruck des Künstlers auf seinem Werk, durch den sich das künstlerische Ich im Werk manifestieren kann (z.B. als zweifelndes Ich qua Übermalung) - und das abseits direkter subjektiver Repräsentation im Sinne einer herkömmlichen Ausdrucksästhetik. Ab Mitte der sechziger Jahre zieht Feldman seine bisherige Position mehr und mehr in Frage. Die von Saxer im Ergebnis genau nachgewiesene Auseinandersetzung mit Sören Kiergegaard führt ihn schließlich zu einem Selbstbewußtseinsbegriff, der sich erstaunlich genau mit demjenigen von Samuel Beckett deckt: das Bewußtsein, lange in der Hoffnung auf die Möglichkeit einer vor-bewußten Erfahrung (z.B. von "Klang an sich"), erkennt und akzeptiert das Wechselverhältnis von Erkenntnisobjekt und Erkenntnissubjekt. Feldmans Musik seit den siebziger Jahren zieht radikale Konsequenzen aus dieser Einsicht.
Korrigieren möchte man diese exzellente, immer wieder am konkreten Notentext ausgewiesene Argumentation bezüglich einiger Datierungen: Die von Saxer einbezogenen Essays von Feldman sind zum Teil erheblich früher entstanden als hier (und in der bisherigen Literatur) erklärt wird. Relevant sind solche Datierungen vor allem bei den Schriften "After Modernism" (1967 statt 1971), "The Anxiety of Art" (1965 statt 1968/69) und "Between Categories" (1968 statt 1969), in denen Feldman die theoretische Revision seines Standpunkts seinem kompositorischen Schaffen nicht - wie es hier den Anschein hat - mit einiger Verspätung nachreicht, sondern frühzeitig vorausschickt.
© 2000 Raoul Mörchen
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