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Über die Musik Morton Feldmans

von John Tilbury

Beinahe alle Musik Feldmans ist langsam und zart. Nur auf den ersten Blick ist das eine Einengung; als müsse man durch eine kleine Tür, indem man seine Körpergröße - ähnlich Alice im Wunderland - ihr zuerst angleicht, um dann den Seins-Zustand zu erreichen, in den einen Feldmans Musik hineinzieht. Denn erst, wer sich diesem sanft gedämpften Hörraum anpasst, kann den Reichtum und die Fülle seiner Musik empfinden.

Erst dann versteht man den vollen Horizont des Ideenreichtums und die deutlichen Unterschiede, die ein Stück von anderen unterscheiden ...

Feldman empfindet die Klänge endlos in ihrem Nachhall, sie gehen nie verloren, auch wenn die Resonanzen sich verändern, wie sie dahinsterben - oder besser: nicht sterben, nur für unsere Ohren allmählich unhörbar werden - und das ganz zart, denn Zartheit ist unwiderstehlich. Die unterschwellige Invasion durch diese Töne ist wirksamer als ein frontaler Angriff, da sich unsere Ohren bemühen, immer noch etwas zu hören. Sie müssen sensibler werden, um die Welt der Klänge, worin sich Feldmans Musik ereignet, zu erfassen.

Soweit Cornelius Cardew in den frühen 60er Jahren. In einem Interview im Sommer '85 erinnert sich Feldman: Er spielte meine Musik wunderbar und ich glaube nicht, daß je einer über meine frühe Musik bessere Worte fand als er.

Tatsächlich entspricht Cardews Beschreibung gleichermaßen auch den späten Werken, ungeachtet all der großen Veränderungen, die Feldmans Musik in den letzen zehn Jahren erfahren hat, denn es ist eben diese Welt des Klangs, die seiner Musik die kontinuierliche Kraft und ihre einzigartige Qualität verleiht.

Als Interpreten zeitgenössischer Musik bewegen wir uns mit Leichtigkeit von Boulez bis Carter und Henze, wir können Methoden, Techniken und Ausdrucksformen vergleichen und unterscheiden, es gibt da tatsächlich die verschiedensten Persönlichkeiten. Doch in Wahrheit bewohnen sie dieselbe musikalische Welt, - eine Welt, die sie von ihren großen Vorgängern geerbt haben. Sie produzieren ihre Klänge letzlich nicht wesentlich anders, als wir es Jahr um Jahr an unseren Konservatorien gelernt haben. Auch unsere traditionelle, altehrwürdige Vorstellung von Phrasierung und Artikulation können wir da beibehalten. Verstehen wir die HAMMERKLAVIERSONATE, so gibt auch die II. Sonate von Boulez Sinn.

Was diese Komponisten vor allem charakterisiert, ist das Akzeptieren und ihre Abhängigkeit vom traditionellen Instrumentalton, womit auch sie letzlich exekutieren, was in unseren Musikhochschulen ständig gelehrt und auch honoriert wird - eine Ästhetik, die den übelsten Bereich des Musikmachens bedient: das bloße Produzieren einer Art beruhigender Bekanntheit und Angesehenheit. Darauf beziert sich Feldman, wenn er meint: Den Großteil der Musik, die man hier in London hören kann, ist offizielle Musik, wie sie für LONDON SINFONIETTA komponiert wurde ... Für London kann man genauso gut lesen Paris, oder Mailand, oder Köln, oder Wien. In Händen der Experten legitimieren und heiligen sich selbst die brutalsten Extravaganzen eines seriellen Modernismus, wie er in den Fünfzigerjahren in Darmstadt ausgebrütet wurde.

Hierin liegt der große Unterschied zwischen Feldman und besonders seinen europäischen Kollegen vom Avantegarde-Hochadel. In der infamen Zartheit und Langsamkeit seiner Musik, im radikalen Beachten muskulärer, physischer und essentiell sinnlicher Gegebenheiten beim Musikmachen durchkreuzt er alle Versuche emotionaler Ausdrucks-Vereinfachung, wie sie unsere Musikschulen betreiben.

Wenn Tudor oder Cardew die Musik von Feldman spielten, so war, was man da hörte und mit größter Spannung erlebte, die Berührung der Finger selbst, die da Musik machten, die Fingerkuppe - der erotischeste Teil des Körpers eines Pianisten - und was da klanglich dabei herauskam: unmittelbar und aufregend. Zu viele andere Aufführungen sonst lassen den Kampf zwischen Körper und Instrument spüren.

Tudor und Cardew waren Virtuosen, - was nichts zu tun hat mit Geschwindigkeit oder dem bedeutungslosen Verwirrspiel der Finger (R. Barthes). Ihre Tugend war es, dem Klavier außergewöhnliche Klänge zu entlocken. Je nach Art der Unzulänglichkeiten des Instruments und der Dimension des Raums verfolgten ihre Darbietungen einen Kurs des Alles auf's Spiel Setzens, der Spannung und Aufregung erzeugte. Das ist Feldmans Art.

Aus dem alten China gibt es die Beschreibung einer Vibrato-Technik: Bemerkenswert ist das 'ting-yin', bei dem die vibrierende Bewegung des Fingers so fein sein soll, daß man sie kaum wahrnehmen kann. In einigen Handbüchern heißt es, daß man den Finger überhaupt nicht bewegt, sodern daß bloß durch den Pulsschlag in den Fingerkuppen ein Vibrato erreicht werden kann.

So viel extremes Feingefühl schon beim Anschlag ist der Kern einer Aufführung von Feldmans Musik. In den Klavierstücken wird sogar die niedergedrückte Tastatur wieder behutsam in die Ausgangs-position gebracht, um das störende Geräusch der Klaviermechanik auszuschalten. Auch für die kleinsten Harmonien ist genügend Zeit, und am Ende von Passagen stehlen sich die Finger geräuschlos von den Tasten.

Wiederholung ist eines der Charakteristika bei FOR BUNITA MARCUS - manchmal sofort und passagenweise, oft auch durch gleiche melodische und harmonische Passagen während des ganzen Stücks. Wiederholung einer Sequenz kann durch rhythmische Veränderung leicht variiert werden, oder die Längen zwischen einigen Wiederholungen werden in sich variiert. In FOR BUNITA MARCUS ändert sich ständig der Takt. Beabsichtigt ist nicht rhythmische Forcierung, sondern vielmehr damit den Fluß der Musik ständig zu verändern: eine Art komponiertes rubato.

Im Schlußsatz bringt Feldman die Musik beinahe zum Schweigen: Fragmente von Phrasen, deren (Fast)-Stille mit zweimaligem Pedalwechsel erzeugt wird. Man kann hier die letzten Takte von Feldmans PALAIS DE MARI, seinem letzten Werk für Klavier, vorausahnen: die aufsteigenden Intervalle entlassen die Musik ins Weite, irgendwohin in einen unermeßlich großen Raum.

Bei Proben pflegte Feldman seinen Interpreten zu helfen, indem er die Töne als herkunftslos betitelte. Er wollte ihnen einen Anstrich der Vergänglichkeit geben, uneinfangbar (Cardew), um sie frei zu lassen, aber nicht willkürlich und schwer zugänglich, sondern verlockend.

Ein altes taoistisches Sprichwort sagt:

Die größte Musik wird mit den wenigsten Noten geschrieben.

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